Bei einem Terroranschlag auf eine Schule, die von den seit langem verfolgten Hazaran im Stadtteil Dasht-e Barchi im Westen Kabuls besucht wird, wurden laut der Tageszeitung Etilaat Roz mehr als 85 Menschen, überwiegend Schülerinnen, getötet und fast 200 weitere verletzt. Der Anschlag ereignete sich am 8. Mai, als eine Autobombe, gefolgt von zwei Sprengstoffanschlägen, hauptsächlich auf ethnische Hazara-Mädchen vor der Sayed-ul Shohada High School abzielte, in der etwa 7.500 Schülerinnen und 7.000 Schüler in zwei Schichten lernen. Die afghanische Regierung hat viel Kritik auf sich gezogen, weil sie es versäumt hat, grundlegende Sicherheitsmaßnahmen für die Schule, die mehrere tausend Schüler*innen beherbergt, zu treffen. 

Hazaras, die schätzungsweise 20 bis 25 Prozent der afghanischen Bevölkerung ausmachen, werden ständig von Terrorgruppen wie den Taliban und dem Islamischen Staat in verschiedenen Städten und auf den Autobahnen angegriffen, nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Pakistan, wo sie die ethnische Minderheit darstellen. Der Trend der Angriffe auf Hazaras deutet darauf hin, dass sie ausschließlich wegen ihrer ethnischen Identität ins Visier genommen werden. Im März 2021 wurden sieben Hazara-Arbeiter im östlichen Jalalabad erschossen, wobei ihnen die Hände auf dem Rücken gefesselt wurden. Im Januar dieses Jahres wurden 11 Hazara-Kohlebergarbeiter in Pakistan getötet. Zwischen 2009 und 2014 haben mehr als 1.000 Hazaras bei verschiedenen Angriffen und gezielten Tötungen in Pakistan ihr Leben verloren.

Hazaras wurden in Bildungszentren, Turnhallen, Entbindungskliniken, religiösen Zentren und politischen Versammlungen nicht nur in Kabul, sondern auch sehr häufig entlang der Autobahnen des Landes massakriert. Im Folgenden finden Sie eine Zeitleiste mit einigen der jüngsten Angriffe auf Hazaras im Stadtteil Dasht-e Barchi im Westen Kabuls seit 2016:

  • Am 20. Oktober 2020 verübte ein Selbstmordattentäter einen Anschlag auf ein Bildungszentrum, bei dem 24 Hazara Student*innen getötet und 57 weitere verletzt wurden.
  • Am 12. Mai 2020 fand ein schrecklicher Angriff auf ein Entbindungskrankenhaus statt. Der Bewaffnete drang in das Krankenhaus ein und eröffnete das Feuer auf werdende Mütter, Neugeborene und Krankenschwestern, tötete 24 Frauen und Kinder und verletzte Dutzende weitere.
  • Am 6. März 2020 wurde eine politische Versammlung der Hazara angegriffen, bei der 32 Menschen getötet und 81 verwundet wurden.
  • Am 8. März 2019 wurde eine weitere politische Versammlung der Hazaras durch Raketenbeschuss angegriffen, bei dem 11 Zivilisten getötet und 95 verwundet wurden.
  • Am 5. September 2018 fand ein Terroranschlag auf einen Hazara-Ringerclub statt, bei dem 26 Menschen getötet und 90 weitere verletzt wurden.
  • Am 15. August 2018 ereignete sich ein Terroranschlag in einem Klassenzimmer einer universitären Vorbereitungsakademie, bei dem 48 Hazara-Studenten getötet und 67 weitere verwundet wurden.
  • Am 22. April 2018 wurde ein Anschlag auf ein Wählerregistrierungszentrum verübt, bei dem 63 Hazara, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, getötet und mehr als 100 weitere verletzt wurden.
  • Am 20. Oktober 2017 wurde ein religiöses Zentrum der Hazara angegriffen, wobei 39 Menschen getötet und mehr als 45 weitere verletzt wurden.
  • Am 25. August 2017 wurde eine weitere religiöse Versammlung der Hazara angegriffen, bei der 30 Menschen getötet und 80 verletzt wurden.
  • Am 16. Juni 2017 wurde eine Moschee von einem Selbstmordattentäter angegriffen, bei dem 8 Menschen getötet und 10 verletzt wurden.
  • Am 23. Juli 2016 wurde ein friedlicher Protest der Hazara-Aufklärungsbewegung (Enlightening Movement) angegriffen, bei dem fast 100 Menschen, meist Universitätsstudenten, getötet und etwa 400 verletzt wurden.

Zaki Daryabi, ein in Kabul lebender Journalist, berichtet, dass die Hazara im Westen Kabuls seit der Machtübernahme durch Ashraf Ghani im Jahr 2014 drei Gedenkfriedhöfe errichtet haben. Der “Roshnai”-Friedhof (Erleuchtung) für die Opfer eines Angriffs auf die Demonstration der “Aufklärungsbewegung” im Jahr 2016, der “Danaei”-Friedhof (Wissen) für die 48 Hazara-Student*innen, die 2018 bei einem Angriff auf ein Bildungszentrum getötet wurden, und zuletzt der “Maaref”-Friedhof (Bildung) für die in diesem Monat getöteten Schülerinnen.

Viele dieser Anschläge wurden von einer mutmaßlichen Schwestergruppe des Islamischen Staates mit Sitz in Afghanistan beansprucht, die als Provinz Islamischer Staat Khorasan (ISKP) bekannt ist, ohne dass es viele Beweise für ihre Schuld gibt. Für diesen konkreten Anschlag hat sich jedoch keine Gruppe zu ihrer Verantwortung bekannt. Die Taliban haben ihre Beteiligung geleugnet, aber der Erste Vizepräsident Afghanistans, Amrullah Saleh, sagte, er habe keinen Zweifel daran, dass dies die Tat von Taliban-Rebellen war. “Der sogenannte IS-K ist ebenfalls ein Ableger der Taliban. Ideologisch sind sie Zwillinge und logistisch sind sie Parasiten der gleichen Sümpfe”, twitterte Saleh.

Wie hat die Welt auf den Angriff auf die Schule reagiert?

Die Ermordung der Hazara-Mädchen in Dasht-e Barchi hat nationale und internationale Verurteilung hervorgerufen. Die Unabhängige Menschenrechtskommission Afghanistans (AIHRC) gab eine Erklärung ab, in der sie ihre Besorgnis über die systematischen Tötungen von Hazaras nach dem Angriff auf die Mädchenschule zum Ausdruck brachte. Die Kommission forderte die afghanische Regierung auf, die “gezielten Tötungen der Hazaras” einzugestehen und ihnen in Übereinstimmung mit den internationalen Menschenrechtsgesetzen “besonderen Schutz” zu gewähren sowie einen Sicherheitsplan für den Westteil Kabuls zu entwickeln, um die Hazaras vor zukünftigen Terroranschlägen zu schützen.

Die Europäische Union (EU), der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSC) und das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Franziskus, verurteilten den Anschlag und betonten, wie wichtig es sei, die Täter vor Gericht zu bringen. Die EU bezeichnete den Anschlag in einer Erklärung als Affront “nicht nur gegen das afghanische Volk, sondern gegen alle Menschen auf der Welt, die an das Wissen und die Gleichheit von Männern und Frauen glauben.” Auch der UN-Sicherheitsrat zeigte sich besorgt über die Angriffe auf Schulen und Bildungseinrichtungen. Der UN-Sicherheitsrat forderte, dass die Urheber der Angriffe, ihre Unterstützer und Geldgeber vor Gericht gestellt werden. Auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch verurteilten den Angriff.

Was sagen die Nutzer sozialer Medien?

Social-Media-Nutzer werfen der afghanischen Regierung vor, die Massaker an Hazaras in den letzten Jahren nicht verhindert zu haben. Viele sagten, dass solche Angriffe bei mehreren Gelegenheiten stattgefunden haben und die Regierung immer nur Erklärungen veröffentlicht hat, um ihr Beileid nach den Angriffen zu bekunden, aber keine praktischen Maßnahmen ergriffen hat, um sie zu verhindern.

Die Abteilung für Kriegsverbrechen der afghanischen Regierung hat versprochen, mehrere frühere Bombenanschläge in Dasht-e Barchi zu untersuchen, hat es aber versäumt, dies auf eine Weise zu tun, die helfen könnte, zukünftige Angriffe zu verhindern”, twitterte Patricia Grossman, die stellvertretende Asien-Direktorin von Human Rights Watch.

Mehrere afghanische Journalisten, Anwälte und Akademiker haben den Angriff auf Hazaras als “Völkermord” und “ethnische Säuberung” bezeichnet.

“Hazaras werden wegen ihrer ethnischen Identität ethnisch gesäubert”, twitterte Haroun Rahimi, ein Rechtsprofessor an der American University of Afghanistan. Der Chefredakteur der Tageszeitung Hasht-i Subh, Parwiz Kawa, nannte den jüngsten Angriff auf Hazara-Mädchen in Dasht-e Barchi ein “perfektes Beispiel für einen Genozid”.  

Farahnaz Forotan, eine afghanische Journalistin, die aufgrund von Sicherheitsbedrohungen gezwungen war, Afghanistan zu verlassen, schrieb auf ihrem Twitter-Account, dass die Angriffe auf Hazaras organisiert und sehr gut geplant sind. Laut Forotan ist kein Ort in Afghanistan sicher für Hazaras, weil sie “in Schulen, Mütterkrankenhäusern, Bildungszentren und Moscheen abgeschlachtet werden.” Sie fragte: “Wer kann diesen Völkermord ignorieren?”

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The article was published on www.afghandiaspora.net | Photo: @Ali Rahimi